ALBUM | Me & Reas „Past Perfect“ | im Handel

Wir sind eine Band, die sich ihre Geschichte selbst geschrieben hat

Eine, die von Zufällen und Erlebnissen erzählt, von gemeinsamen Nächten und furchtbaren Tagen. Von großer Freundschaft und prägenden Entscheidungen und, ja, auch vom Erwachsenwerden. Dass sich das Nürnberger Indiepop-Quintett Me & Reas genau diese Themen für ihr Debütalbum „Past Perfect“ ausgesucht hat, ist darum freilich kein Zufall – sondern vielmehr eine so konsequente wie wundervolle musikalische Verarbeitung einer wichtigen Lebensphase. Und einer ziemlich besten Freundschaft.

Dass Andreas Jäger immer Musik von ganzem Herzen machen wollte, steht außer Zweifel. Dass er heute Teil einer fünfköpfigen Formation ist, die die Tanzbeine nicht weniger bewegt als die Gemüter, die Konzertsäle füllt und Garant für große Emotionen ist, scheint den Sänger und Songschreiber von Me & Reas nachgerade zu verwundern. „Ich wollte Musik machen – dass jetzt alles so gekommen ist, ist ein unfassbarer Zufall. Ein wunderbarer.“

Schon immer hat er in Bands und für sich selbst Musik gemacht, als sich nach dem Abitur die erste große Lebenskrise zu Wort meldet: Da ist der Junge, der mit seiner Gitarre und sich selbst zufrieden ist, keinen Plan hat fürs Leben, das es gutgemeint hat mit ihm bislang. Und dann ist da plötzlich das, was außerhalb der Heile Welt-Blase noch existiert, das wahre Leben, in dem Menschen schuften müssen, krank werden, Freunde verlieren, sterben. Andreas Jäger hat Angst vor dem Leben und schreibt „More Than Just Breathing“ – ein Song, der „zeigt, wie ich als 19-Jähriger getickt habe“ und sinnbildlich steht für einen ersten großen Schritt in Richtung Selbstständigkeit, eine völlige Umwälzung des Lebens. Dass der Song jetzt als Vorabsingle des Albums erscheint, ist darum in jedem Sinne konsequent. Zum einen „ist das unser All-Time-Favourite seit Anbeginn der Band, den wir immer spielen, den es aber noch nie zu kaufen gab“. Zum anderen spannt er den Bogen zu dem, was Me & Reas heute, so viele Jahre später, wieder erleben.

Nach dem Abschluss des Wirtschaftsingenieursstudiums zieht Andreas Jäger nach Nürnberg. Musik gemacht hat er die ganze Zeit, auf Straßen und in winzigen Kneipen, wird gebucht für Geburtstage und Brunchgottesdienste, wird entdeckt von anderen Straßenmusikern, wird unter deren Fittiche genommen, spielt und spielt. Und langweilt sich. Immer alleine, die Fahrten, das Warten. Dass er Manuel Weimann kennen- und schätzen lernt und fragt, ob der ihn nicht mal begleiten will, war „eine Bieridee, im Spaß geäußert.“ Aber Manuel spielt mit. Dass schon der zweite Auftritt beim Straßenfest Nürnbergs beliebtester Innenstadtgasse stattfindet – Zufall. Aber einer, der so gut ankam, dass die beiden dabei auch noch richtig CDs verkaufen. Und sich Folgeauftritte ergeben. Die spielen Jäger und Weimann, nehmen Songs auf daheim in der Wohnung, finden „das Zweierding langweilig“, leihen sich Instrumente und versuchen, eine ganze Band zu ersetzen. So entsteht die „Lowest Budget“-Produktion „From My Window Ledge“ und zum Song „Daylight Saving Time“ ein Video, für das Andreas Jäger mit Nils Kohl, Benjamin Baumann und Sören Breitkreutz Mitglieder der alten Jugendband akquiriert. „Eigentlich“, sagt er, „wollte ich aufhören, es hat mir nicht mehr gereicht.“ Doch das Video macht ihm einen Strich durch die Rechnung, wird vielfach geteilt, erst gibt es Radioanfragen, dann die nach einer Release-Show. Für die fragt Jäger die Jungs nochmal an, alte Kumpels sind sie, immer gut befreundet gewesen. Ein gemeinsamer Gig, ein einziger, das kriegen wir hin, oder? Und sie kriegen. Kaum Proben, „total improvisiert“ liefern Me & Reas ihren Auftritt im randvollen Nürnberger Club Stereo ab. „Vielleicht“, meint Jäger heute, „hat genau das den Charme ausgemacht: Dass wir alles andere als perfekt, dafür aber voller Liebe und Energie waren.“

Dieses Konzept, so man es so nennen darf, führen die fünf fortan weiter. Spielen den Support der französischen Yalta Club, beim Club- und Showcase-Festival Nürnberg.Pop, im Vorprogramm der Mighty Oaks, absolvieren ein Dutzend Gigs in drei Monaten, „und ohne das groß auszumachen war irgendwann einfach klar, dass wir jetzt wohl eine Band sind.“

Die fährt auf einmal auf Festivals und dann über Monate auf eine kleine Deutschlandtour. „Das waren teils harte Lehrjahre, in denen wir uns gewissermaßen rangespielt haben“, so Jäger. „Aber wir haben es gemacht, einfach nur, weil es so geil war, dass wir überhaupt spielen durften.“ Spielen dürfen, das ist die Kür. Aber das Leben, die Pflicht, die gibt’s auch noch. Und die holt sich, was sie braucht. Alle fünf studieren, wollen sauber abschließen, haben Beziehungen, Freunde, Familie, Jobs, haben „eine wahnsinnig intensive Zeit, aber auch irrsinnigen Druck.“ An dem Andreas Jäger 2015 fast zerbricht.

„Mein Leben hat sich so oft und jedes Mal so krass geändert“, sagt der Me & Reas-Frontmann und kann heute, fast zwei Jahre später, nicht nur entspannt auf die Vergangenheit zurückblicken, sondern zuversichtlich, fast dankbar. Denn hätte es diese Zeit nicht gegeben, gäbe es jetzt kein „Past Perfect“, das Album, das am 2. März 2018 erscheint und zwei Dinge sagt: Was vergangen ist, war gut so, wie es war. Doch es ist genauso gut, dass die Zeit vorbei, dass sie abgeschlossen ist – wir sind bereit für Neues!

Die Band nämlich rappelt sich auf, befreit sich selbst aus der Lethargie, in die sie unter dem Druck verfallen ist. Andreas Jäger, Manuel Weimann, Nils Kohl, Sören Breitkreutz und Benjamin Baumann nehmen eine EP auf, packen fünf Songs auf „Where We Know All The Names“ und gehen damit auf Tour. Zwei Wochen quer durch Deutschland mit dem Bus, „eine Wahnsinnszeit, die beste meines Lebens“, sagt Andreas Jäger, der so liebt, was er tun darf: mit seinen besten Freunden Musik machen, kleine, große, ausverkaufte Shows zu spielen und dabei authentisch und auch mal untight zu sein, den „Schmutz der Straßen, den Sound der Kneipen und Bars“ auf die Bühne zu bringen. Oder zu genau den Orten zurück, nämlich wenn Me & Reas, deren Bandnamen schnell versteht, wer sich den Frontmann mal ganz genau anschaut, mit großem Gefolge und ebensolchem Hallo auf Mini-Tour in Nürnberg gehen: acht Kneipen, sechs Songs, ein Bollerwagen. „Wir wollen die Leute abholen“, sagt Andreas Jäger. „Ich glaube, das funktioniert ganz gut.“

Und jetzt die Platte. „Past Perfect“ erzählt in zwölf Songs Geschichten der tiefen Verbundenheit von Freunden, von gemeinsamen Erlebnissen und durchzechten Nächten („In Stereo“). Aber auch von Scheidewegen, vom Neu- und Aussortieren („Boy in a Box“), davon, dass man sich lösen muss von der Vergangenheit, um in der Zukunft weitermachen zu können („All my Tomorrows“), der Erkenntnis, mit Dingen abschließen zu müssen („200 Times“). „Past Perfect“ ist eine Rückschau, ein Album voller Erwachsenwerden, ohne dabei langweilig zu sein, voller Reife, ohne dabei das Verspielte zu vergessen, das im Gegenteil nach wie vor zentral ist im musikalischen Leben der Me & Reas, die mit großer Leichtigkeit einen gewichtigen Schritt zu gehen wissen, perfekt sind im Unperfekten und glücklich, wenn sie gemeinsam auf der Bühne stehen, ihre Musik, ihre Freundschaft feiern können und sehen, wie der Funke überspringt ins Publikum. Deswegen, sagt Andreas Jäger, ist „More Than Just Breathing“ so wichtig, so sinnbildlich: „Der Song spannt den Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft, läutet eine neue Zeit ein, indem er zurück zu den Wurzeln kehrt.“ Zu denen des Jungen mit der Gitarre, der mit seinen Freunden Musik machen will – und dabei Bandgeschichte schreibt. Ganz zufällig.

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Quelle: Recordjet | ADD on Music