ALBUM | George Ezra „Gold Rush Kid“ | ab heute

Er ist wie wild um die Welt getourt, dann gleich nochmal und hat, auf dem Weg wieder zurück, sich selbst getroffen. Er hat das grüne, grüne Gras unter seinen Füßen und den blauen, blauen Himmel auf seinem Rücken gespürt. Ein Reisender, ein Entertainer, er ist ein Mann auf der Suche nach Glück und danach, dieses Glück zu teilen. Unterstützt von einer achtköpfigen Musikgruppe bestehend aus Brüdern und Schwestern ist er von Budapest über Barcelona bis nach Manila gereist.

Er weiß, dass er, um nach Hause kommen zu können, weggehen muss, aber auch, dass das eine das andere umso süßer macht. Was den Goldrausch angeht, so ist dieser nicht das Ziel, sondern die Reise selbst. Er ist die Kraft des Positiven, der Zuckerrausch der Hoffnung, das Versprechen des Aufschwungs.

Und wer bitte möchte – braucht – das nicht in 2022?

Das Gold Rush Kid? Das bin ich. Was die Tracks alle vereint, ist dass jeder einzelne von ihnen genau nach mir klingt“, erzählt George Ezra über die Titelwahl seines dritten Albums – eine Komposition aus 12 Songs, produziert von seinem langjährigen Weggefährten Joel Pott.

Nach zwei Blockbuster-Alben – „Wanted On Voyage“ (2014) und „Staying At Tamara’s“ (2018) – die sich weltweit unzählige Male verkauften und von denen letzteres ihm 2019 den Brit Award als bester (männlicher) britischer Solokünstler einbrachte, war es nun an der Zeit, sich wieder einen Schritt näher an Herz und Seele zu wagen, mit einem Album, dass komplett in London geschrieben und produziert wurde.

Es ist eine Figur, die ich verkörpern will“, erläutert er ferner über sein Alter Ego, „um mich daran zu erinnern, wie ich mich während des Schreibens und Aufnehmens dieser Songs gefühlt habe. Als ich von der Tournee des zweiten Albums zurückkam, war ich wirklich verblüfft von der Erkenntnis wie es für mich war, so lange von den Menschen, die man kennt und liebt, getrennt zu sein. Man war auch weit weg von der täglichen Routine, von der Normalität. Es lohnt sich also, diese Verbindung wiederherzustellen: sich mit dieser Person wieder zu verabreden. Aber wenn man darüber nachdenkt, sind die Tourneen auch immer ein Wahnsinnserlebnis – man darf all diese tollen Orte der Welt bereisen.

„Und mir wurde klar, dass es sich um zwei Gegensätze handelt, die nicht gleichzeitig existieren können – aber beide sind es wert, verfolgt zu werden! Und das bedeutet eigentlich, dass du alles soweit richtig machst. Denn es hält dir vor Augen, dass beide Seiten deiner Medaille total reizvoll sind. Vielleicht kriegt man von Zeit zu Zeit den Balanceakt nicht perfekt hin, aber beides ist die Anstrengungen Wert …

Doch bevor er irgendwohin gehen und irgendwas machen konnte, sah Ezra sich – genau wie der Rest von uns – gezwungen, an Ort und Stelle zu bleiben.

Nach seiner 18-monatigen „Staying at Tamara’s“-Tour im Herbst 2019 verbrachte der in Hertfordshire geborene Singer-Songwriter einige Zeit damit, herunterzukommen und in sein reguläres Leben zurückzufinden. Für ihn hieß das nichts anderes als die zweite Staffel seines Podcasts „George Ezra & Friends“ zu launchen (Elton John, Lily Allen, Sam Smith, Shania Twain und Ed Sheeran waren nur einige der Gäste) und eine zweite Podcast-Serie „Phone A Friend“ ins Leben zu rufen, in der es um psychische Gesundheit geht.

Und zeitgleich kamen auch schon die Lieder. Ezra meint, dass er bereits fünf Lieder geschrieben hatte als ihr-wisst-schon-was uns im März 2020 heimsuchte. U.a. hatte er damit begonnen, durch alte Notiz- und Tagebücher zu blättern.

Das ist es, was diesmal anders ist: Es gibt keine konkrete Route, an der sich alle Songs entlanghangeln“, merkt der Autor, der bekannter Weise den Nachfolger seines Debütalbums größtenteils in einem Airbnb in Barcelona – Tamaras Airbnb – geschrieben hat, an. „Ich hab mir meine alten Notizbücher angeschaut, etwas, das ich bis dato nie gemacht hatte.

Beim Durchblättern dieser alten Notizbücher, fiel ihm eine Strophe ins Auge, die er im Alter von 23 Jahren geschrieben hatte, noch bevor er mit der Arbeit an seinem zweiten Album begonnen hatte: „Tiger Lily moved to the city, she’d just turned 21, and I said: here’s my number, hit me up, if you’re needing anyone, and then I can be anyone anyone anyone anyone anyone for you…“

(DE: „Tiger Lily zog in die Stadt, sie war gerade 21 geworden, und ich sagte: Hier ist meine Nummer, ruf mich an, wenn du jemanden brauchst, und dann kann ich jeder jeder jeder jeder jeder für dich sein…“)

5 Jahre später, eröffnen diese Worte ‚Anyone For You‘, den ersten Song auf – und die erste Musik, die veröffentlicht wird von – „Gold Rush Kid“. Es ist ein schillernder Song der von Unterstützung und Ermutigung handelt. Wie es im glorreichen Singalong- Refrain heißt: „Let me be your light!“ (DE: „Lass mich dein Licht sein!“)

Über seine Positionierung als erster Track auf dem Albums sagt Ezra: „Mittlerweile weiß ich, worum es bei unseren Shows geht: Wir sind irgendwie in der Lage, Aufnahmen zu machen und aufzutreten und Teil von etwas zu sein, das Spaß macht. Nun gut, Spaß ist nicht immer ein cooles Wort. Aber es ist ein gutes Gefühl. Und es ist nicht erzwungen oder beabsichtigt – es hat sich entwickelt und ist auf natürliche Weise dort gelandet, wo es jetzt ist.

„Also fragt man sich: Wie kann man dieses Feuer anheizen? Und das ist der Grund, wieso es der erste Song ist, und warum die Produktion so ist, wie sie ist. Es ist dieses Gospel-Feeling. Es ist fröhlich, und es klingt wie ein Konzert-Opener.“

Das schwungvolle, frühlingshafte und sonnige Gemüt des Songs täuscht darüber hinweg, dass er in Potts Studio im Südosten Londons in den düstersten Monaten des Jahres 2020 vollendet und aufgenommen wurde. Wie auf dem gesamten restlichen Album auch, scheint es, als hätte Ezra es geschafft, die ganze Dunkelheit der letzten beiden Jahren in erfrischendes, neu belebendes Licht umzuwandeln.

Es ist eine Stimmung, die mit ‚Green Green Grass‘, einem unwiderstehlich fröhlichen Song, der davon handelt das Beste aus jeder Situation zu machen – auch wenn es sich so anfühlt, als ob einem das Schlimmste noch bevorsteht – wunderbar weitergeführt wird. Auch dieser Text stellt sich rückblickend als bemerkenswert vorausschauend heraus.

Ich war über Weihnachten 2018 mit ein paar Freunden in St. Lucia im Urlaub, darunter auch zwei meiner engsten Freunde aus der Heimat“, beginnt Ezra, der jetzt wieder in Hertfordshire lebt, der wohl verschlafendsten Ortschaft, die er hätte finden können (jedoch trotzdem in unmittelbarer Nähe von London). „Wir waren in dieser Strandbar und haben selbstgemachten Rumpunsch und Piton, das lokale Lagerbier, wild durcheinander getrunken und mit drei einheimischen Jungs, die dort gearbeitet haben, herumgealbert. Drei Straßen weiter hinten am Meer fing dann die Musik an.

Nach etwa einer halben Stunde musste ich nachsehen, was das war. Und da war eine Straßenparty in vollem Gange, mit drei verschiedenen Soundsystemen und Leuten, die auf der Straße Mahlzeiten kochten. Ich fragte eine Frau, was da los sei, und sie sagte mir, es sei eine Beerdigung – für drei Menschen. Sie feierten drei Leben! Ich dachte: So machen wir das zu Hause nicht. Das ist wirklich schön.

Ezra machte eine Notiz in seinem Tagebuch: „Green green grass, blue blue sky, you better throw a party on the day that I die.“ (DE: „Grünes, grünes Gras, blauer, blauer Himmel – an dem Tag, an dem ich sterbe, solltet ihr besser eine Party veranstalten.“)

Und als er dann diesen Text in den harten Monaten der Pandemie durchblätterte, kamen das Gefühl und die Atmosphäre zurück. Ein weiterer Anhaltspunkt war der Bestseller „Die Bücherdiebin“ aus 2005, in welchem der Tod die Rolle des Erzählers annimmt. Das inspirierte ihn zu folgendem Text: „She moves like lightning and she counts to three, she turns out the lights and says she’s coming for me.”

(DE: „Sie bewegt sich wie der Blitz und zählt bis drei, sie macht die Lichter aus und sagt, sie hat‘s auf mich abgesehen.“) Für Ezra ist das sinnbildlich der Tod, der uns letztendlich alle einholt. „Und das passt zu der Idee von ‚Gold Rush Kid‘. Das Ende ist unausweichlich – also was passiert in der Zeit zwischen jetzt und dann? Wir müssen das Beste daraus machen.“

Was den Titelsong angeht: Ezra beschreibt ihn gerne als „Indie-Dance-Tune“. Aber für den äußerst anspruchsvollen Songwriter ist es eine nicht verwendete Textzeile aus dem Song, die die Stimmung und das gesamte Gefühl des Albums am besten auf den Punkt bringt: „Es gibt keine Liebe wie die Liebe nach Hause zu kommen, aber um nach Hause zu kommen, muss ich gehen.

Das hat das Auf und Ab wirklich auf den Punkt gebracht“, reflektiert er. „Und ich musste das, wo immer möglich,  als etwas Positives sehen, und das als Goldrausch zu personifizieren, machte für mich Sinn.

Ein deutlich anderes Tempo kommt auf „Sweetest Human Being“ zum Einsatz, eine wunderschöne Klavierballade, die gen Ende des Albums eingebettet ist. Passend zur Eleganz des Klangs, liegt seine Stärke in der Direktheit des Textes: “Somewhere out there is my girl… and I just cannot wait to meet my girl.” (DE: „Irgendwo da draußen ist mein Mädchen… und ich kann es kaum erwarten, mein Mädchen zu treffen“.) Es ist schlichtes, sehnsüchtiges Verlangen, das von einem Ort der Leere kommt – und der Klarheit. „Dieser Song ist für mich das erste Mal, dass ich denke: Er ist geraderaus und ohne Jux. Das ist einfach wie ich mich fühle.

Davon gibt es noch einiges mehr. Viel mehr Euphorie –  ist das etwa ein Eurobeat-Rhythmus bei ‚Dance All Over Me‘? Und mehr Ausbruch –  der sonnengetränkte Vibe von „Manila“ wurde in einem umfunktionierten DHL-Lieferwagen auf einer Farm in Hertfordshire geschrieben,  der während des Lockdowns für einige Zeit Ezras Zuhause war. Die Gefühle kochen über – die üppig orchestrierten Streicher auf „Fell in Love“ machen aus ihm einen Song, der von der Romantik des ersten Tanzes auf einer Hochzeit zeugt.

Noch mehr als das? Belassen wir einige der Schätze von „Gold Rush Kid“ noch ein wenig länger im Verborgenen. So auch die Früchte von Ezras Wanderung von Land’s End bis nach John O‘ Groats, einer epischen Reise, die er im Frühjahr und Sommer 2021 unternahm. Er und zwei Freunde wanderten und zelteten drei Monate lang, fünf Tage die Woche, 20 bis 30 Meilen pro Tag und legten dabei 1220 Meilen zurück.

Es war unglaublich“, sagt er über die legendäre Pilgerreise, die für einen Dokumentarfilm gefilmt wurde und 2022 in die Kinos kommen wird. „Was ich im Kopf hatte, die Art, wie ich dachte, wurde durch diese Reise fast legitimiert. Sie entschleunigt einen.

Eine Welt, die mir vorher beängstigend und riesig vorkam, fühlte sich dadurch wie ein Nadelstich in einem Stück Papier an. Und während ich auf der Wanderung war, bekam ich Mixe vom Album zugeschickt. Für mich war der Spaziergang also der Soundtrack zum Album. Das eine gab dem anderen mehr Sinn.

Er ist das Gold Rush Kid, und er ist auf dem Weg. Er ist zwar noch nicht am Ziel, aber er macht auf dem Weg dorthin wunderbare, mitreißende, erhebende Musik.
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Quelle: Sony Music