SINGLE | Baby Queen „Medicine“ | ab heute im Handel

Der Tag, an dem sich Bella Latham in Baby Queen verwandelte, sollte alles verändern – denn mit der Namensfindung passte für die in Südafrika aufgewachsene Musikerin plötzlich alles zusammen. Sie war ein paar Jahre zuvor in London gestrandet: jung, etwas fehl platziert, etwas deprimiert, ganz schön enttäuscht von der Oberflächlichkeit der Modeszene in der britischen Metropole, war sie wieder bei der Musik gelandet. Um alles zu verarbeiten, hatte sie damit begonnen, diese Eindrücke, Gefühle und Enttäuschungen in Songs zu verpacken. Eher schemenhafte, nie zu straffe Gitarrenpop-Songs. Musikalische Alt-Pop-Skizzen, die sie selbst als „hell-lilafarben“ bezeichnet. Und dieser neue Projektname – Baby Queen – brachte diese Sache einfach zu gut auf den Punkt: „Schließlich sind viele Dinge, die ich in den Songs zum Ausdruck bringe, echt unreif und kindisch. Da ist einerseits also diese Naivität, aber natürlich hab ich auch schon einiges erlebt: Ich weiß, was teen angst ist, weiß, wie die Generation Z tickt. Daher die Gegensätze: Hier das Baby, hier die Königin. Als ich diesen Namen angenommen hatte, hatte ich sofort das Gefühl, mich gefunden zu haben: Ab da konnte ich wirklich alles rauslassen.

Die Geschichte von Baby Queen beginnt in der südlichen Hemisphäre: Bella wuchs in Durban in Südafrika auf. Ihre freie Zeit widmete sie dort nicht nur der Musik, sondern auch der Natur: Sie dachte sogar zwischenzeitlich an eine Zukunft als Wildparkaufseherin, kannte jedes Buch über die Vogelwelt Südafrikas auswendig. Während ihr Dad sie nebenbei (auf dem Beifahrersitz) mit viel Funk und Soul vertraut gemacht hatte, stattete die Mutter sie mit Gitarre und Klavier aus (den Unterricht gab’s vom Onkel dazu). Und nachdem Bella schon früh Taylor Swift für sich entdeckt hatte, begann sie als 13-Jährige damit, erste eigene Songs zu schreiben, die sie heute jedoch als „cheesy Popmusik“ abtut. (Ja, sie habe sogar versucht, einen US-Akzent zu imitieren….)

Der verlängerte Selbstfindungstrip führte sie mit 18 nach London. Ausgewählte Stationen dieser Zeit: Andocken bei Tante und Onkel (was nicht lange gut ging); auch das Freunde-Finden war gar nicht so einfach, wenn man immer nur alleine zu Konzerten und in den Pub geht… schließlich wohnte sie in irgendwelchen WGs, zwischenzeitlich auch auf einem Boot, trat einer Rockband bei. Die Leute, die sie danach kennenlernte, nahmen sie mit auf ziemlich angesagte Fashionwelt-Partys. „Nur war ich allen dort egal, schließlich war ich ja niemand.

Erst als ihre Ex-Partnerin ihr das Herz brach, verließ sie die Band und erkannte, dass sie sich viel zu lange hatte ablenken lassen „von all diesem anderen Bullshit“. Also kurz zurück nach Südafrika, durchatmen, dann wieder bei Tante/Onkel in London andocken, nunmehr mit mehr Fokus auf die Arbeit im Studio. Drei Mal pro Woche setzte sie sich mit dem Produzenten Ed King zusammen und verarbeitete die Eindrücke aus der oberflächlichen Welt der Influencer. „Ich begann damit, ganz schön verbitterte Stücke über meine ersten Erfahrungen hier in London zu schreiben“, erzählt sie. „Wobei es auch darum ging, wie ich mich dadurch verändert hatte, was für eine Narzisstin ich dadurch geworden war. Ich war echt besessen von diesen Identitäten, die wir da im digitalen Raum kultivieren: Dieses bühnenreife Ich und dahinter das Backstage-Ich – wer man wirklich ist und wer man vorgibt zu sein…“ Das war die eigentliche Geburtsstunde von Baby Queen.

Ihr Sound ist zwar durchaus im Pop verwurzelt, doch steht Baby Queen ganz klar auf komplexere Texte und andere Themen – was auch an jüngsten Inspirationen liegt, die Bella seit ihrem Umzug nach England viel gehört hat: Little Simz etwa, die lyrischen Songs von Kate Tempest, auch Matty Healy von The 1975. Den Soundtrack dazu liefert sie als Multiinstrumentalistin selbst: Baby Queen spielt Gitarre, Bass, Klavier/Keyboard, Ukulele, Banjo, sogar ein wenig Schlagzeug. „Irgendwann ging mir auf, dass ich auf düstere, komplexe Texte über so richtig schön gut gelaunten Akkordfolgen stehe.“ Obwohl sie kein Problem mit einem Pop-Fundament habe, gingen ihre neuen Songs schon eher in Richtung „Soft Grunge“. „Also auf jeden Fall kein cleaner Pop. Clean ist überhaupt nichts an meiner Musik.

Wie das klingt, hat Baby Queen schon mit ihrer Debütsingle „Internet Religion“ angedeutet: Eine lässige Pop-Persiflage, setzt sie musikalisch auch auf psychedelische Synthesizer, während sie im Songtext ihre eigene, komplett durchdigitalisierte Generation lässig auf die Schippe nimmt, den Finger in die Wunde legt – „This is my internet obsession/This is why the kids have got depression“. Sie hasse es nun mal, erzählt Baby Queen, „wie leicht man im Netz seine Identität kontrollieren kann, und wie besessen alle sind von ihrem digitalen Selbst und davon, wie viele Likes ihre ganzen Bilder bekommen… das geht ja schließlich so weit, dass einem dadurch alles andere einfach komplett am Arsch vorbei geht.

Dass ihre Debütsingle nicht wie ein wütender Rant klingt, liegt auch daran, dass Baby Queen nicht predigt. „Das ist mir wichtig: Ich predige nicht – sondern öffne mich nur und spreche das ganz offen an“, so Bella. „Denn ich bin da ja kein bisschen anders als die anderen. Ich bin also Teil des Problems. Und indem ich mir selbst den Spiegel vorhalte, zeige ich ein größeres Problem.

Entfremdung, Desillusionierung, Sinnentleerung – alles Bereiche, die manch einer mit chemischen Lösungen (Stichwort Antidepressiva) zu bekämpfen versucht, weshalb ein weiterer Track ihrer kommenden EP auf den Titel „Medicine“ hört. Auch hier geht es autobiografisch um ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Thema, weil sie damit ein Zeichen setzen will: Ein Zeichen gegen die Leere und auch gegen diejenigen, die einem das Gefühl geben, ein Niemand zu sein, wenn man keine perfekte Oberfläche vorweisen kann. „Ich hab nämlich irgendwann verstanden, dass ich schon immer jemand war. Mit 13 war ich jemand. Als Niemand auf der Fashionparty war ich jemand. Und jetzt bin ich jemand.

Die Debüt-EP von Baby Queen soll noch in diesem Jahr erscheinen.
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Quelle: Polydor