ALBUM | Sandra „The very Best Of“ | ab heute

Es heißt, Musik kenne keine Grenzen. Den personifizierten Beweis dafür liefert kaum jemand so eindrucksvoll wie Sandra. 1962 unter dem Familiennamen Lauer im deutschen Saarbrücken geboren, besitzt sie aufgrund der Herkunft des Vaters einen französischen Pass. Ihre Muttersprache ist Deutsch, die Sprache ihrer Musik Englisch. Sie selbst lebt seit fast 30 Jahren in Spanien. Nationalitäten spielen in Sandras Leben kaum eine Rolle – ihr Erfolg ist international. Legendär sind die ersten Megaerfolge mit der Girlgroup Arabesque in den späten 1970ern und frühen 1980ern in Japan. Als Solistin erobert sie ab 1985 nahezu die ganze Welt. Soll sie heute ihre Karriere mit einem Wort beschreiben, sagt Sandra ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern: »Ein Traum.« Ein Traum, mit dem sie, wie sie noch ergänzt, »in dieser Dimension niemals gerechnet« hätte.

Ziemlich genau 40 Jahre ist es her, dass ihre erste Single erschien: »Andy, mein Freund«, die Liebeserklärung eines Teenagers an seinen Hund. Nicht unbedingt weltbewegend, aber immerhin geeignet, den Anfang einer Karriere zu markieren, wie sie von Deutschland aus hinsichtlich Globalität und Dauerhaftigkeit bis heute wohl einzigartig sein dürfte. 1978 steigt Sandra schließlich bei Arabesque ein – ein Kapitel, das nach rund fünf Jahren abgehakt wird, aber durchaus nicht vergessen ist. Im Gegenteil: »Ich habe kürzlich Songs von Arabesque neu aufgenommen, mich aber noch nicht entschieden, ob ich die veröffentlichen soll oder nicht.«, verrät sie im Frühjahr 2016.

Noch während der Arabesque-Phase lernt Sandra ihren späteren Ehemann und Produzenten Michael Cretu kennen, der zu jener Zeit bereits ein gesuchter Studiomusiker, Arrangeur und aufstrebender Produzent ist. 1984 nimmt er mit ihr die deutschsprachige Version des Alphaville-Hits »Big in Japan« auf. Doch die Single »Japan ist weit« wird kein Hit. Mehr als drei Jahrzehnte später resümiert Sandra: »Wahrscheinlich hat sie sich deshalb kaum verkauft, weil ich ein Newcomer war und sich die Radiostationen dafür nicht interessiert haben. Mir hat die Aufnahme auch gar nicht gefallen. Ich wollte unbedingt weiter in Englisch singen, weil mir deutschsprachiger Gesang irgendwie nicht liegt.«

Nach diesem Fehlstart nimmt Sandras Solokarriere im Jahr darauf richtig Fahrt auf. Beim noch recht jungen Deutschland-Ableger des Plattenlabels Virgin erscheint im März 1985 die Single »(I’ll never be) Maria Magdalena«. Der Song schlägt vor allem in Südeuropa sofort ein und läuft dort in Dauerrotation im Radio und in den Discotheken. Erste TV-Auftritte folgen. Spanien-, Italien- und Griechenland-Urlauber bringen den Song dann sozusagen wieder mit zurück ins Land seiner Geburt, so dass »Maria Magdalena« mit etwas Verspätung, im Juli 1985, auch in die deutschen Charts einsteigt und hier zum absoluten Sommerhit wird. Unterm Strich kann Sandra für diesen Song die Spitzenposition der Singlecharts in insgesamt 21 Ländern verbuchen. Der deutschen Virgin wird die Lizenz zum Plattenpressen nicht nur in ganz Europa förmlich aus der Hand gerissen, sondern ebenso in Asien und Südamerika.

Im November 1985 erscheint die Nachfolgesingle »In the heat of the night«, die ähnlich erfolgreich wird. Parallel dazu kommt Sandras Debüt-LP mit dem Titel »The long play« auf den Markt. Kaum bekannt ist, dass diese Scheibe zweimal eingespielt wurde. Sandra erinnert sich: »Das erste Album, das Michael und ich gemacht haben, wurde, wie damals üblich, auf Magnetband aufgenommen. Und nachdem wir ein paar Monate lang daran gearbeitet hatten, war Michael letztlich nicht zufrieden. Er nahm das Band, hielt es in die Luft und ließ es vom Bobby (Anm.: Tonbandspule) rutschen. Dann haben wir ganz von vorne begonnen und, so glaube ich jedenfalls, alles richtig gemacht.«

Was sich bei dieser ersten Produktion hinter den Kulissen bereits abzeichnet, wird praktischerweise auch in den nächsten Jahren beibehalten: ein festes Team, das für gleichbleibend hohe Qualität der Sandra-Platten sorgt. Michael Cretu schart einige der besten und erfahrensten Songschreiber, Studiomusiker und Backgroundsänger um sich, mit denen er zum Teil bereits erfolgreich gearbeitet hat: allen voran das Trio Hubert Kemmler, Klaus Hirschburger und Markus Löhr – besser bekannt als Hubert Kah –, dazu Manfred »Thissy« Thiers, Reinhard »Dicky« Tarrach, Nils Tuxen, Armand Volker, Peter Ries und Frank Peterson. Ihren Anteil an Sandras Erfolg haben ebenso die Leute bei Virgin und Mambo Music in München, Sandra-Manager Jürgen Thürnau, Grafiker Mike Schmidt und Fotograf Dieter Eikelpoth. Was dieses eingeschworene Team auch immer für Sandra auf den Weg bringt, wird ein Erfolg.

In den 1980ern landet Sandra einen Hit nach dem anderen, wird mit Goldenen und Platin-Schallplatten regelrecht überschüttet; selbst die so seltene Diamantene Schallplatte wird ihr verliehen. Auf Medienpreise wie den Goldenen BRAVO-Otto scheint sie ein Abonnement zu haben. Zudem beweist sie immer wieder, dass sie alles andere als eines dieser künstlich hochgepuschten Sternchen ist. Dazu hat Sandra einfach zu viel Erfahrung im Showbiz gesammelt, weiß sie zu gut über die Tücken des Ruhms Bescheid. Sie bleibt bodenständig, arbeitet stets weiter hart an sich selbst und entwickelt sich zunehmend zu einer gestandenen Pop-Diva, die über hämische Kritiker und Neider nur milde lächelt. Denn eines hat auch sie gelernt: Neid muss man sich erarbeiten. Für Sandra zählt nicht die Meinung der Fachpresse, sondern die ihrer Fans. Und die halten ihr stets die Treue – selbst dann, wenn mal einige Jahre nichts Neues von ihrem Idol zu hören ist, wie in den 1990ern, als die frischgebackene Mutter ihren Kindern zuliebe pausiert. Sandra über die inzwischen 20jährigen Zwillinge: »Nikita und Sebastian geht es sehr gut. Sie studieren beide an der Universität in Amsterdam Business Communication Management und Sprachen und sind beide davon begeistert.«

Bis heute hat sich Sandra mit Hilfe ihrer Produzenten, zu denen neben Michael Cretu auch schon Jens und Toby Gad, Axel Breitung sowie jüngst die Kölner DJs Blank & Jones zählten, eine beachtliche Diskographie aufgebaut. Den schnellen Charterfolg, der in der Regel Anbiederung an kurzlebige Trends voraussetzt, hat sie längst nicht mehr nötig. Ihre Alben sind mit der Zeit reifer, tiefgründiger, persönlicher geworden, in thematischer Hinsicht ebenso wie in musikalischer. Bis heute sind zehn Studioalben und rund 30 Singles zusammengekommen – nicht mitgerechnet diverse Kompilationen, Remix-Alben sowie die Enigma-Werke, die Sandra mit dem Charme ihrer Sprechstimme veredelt hat. Sie selbst steht nach wie vor zu allen Songs, die sie aufgenommen hat, möchte aber zwei davon hervorheben, die ihr besonders am Herzen liegen: »Das sind ›Johnny wanna live‹, weil das sehr emotional war – und ›First lullaby‹, der Song, den Michael für unsere Kinder geschrieben hat.«

Sandra ist nach wie vor auf Tour. Gerade hat sie Konzerte in den USA gegeben, unter anderem in Dallas, Los Angeles und Chicago. Und schon bald wird sie wieder auf der anderen Seite des Erdballs wie eh und je die größten Hallen füllen: »In Russland werde ich bald wieder große Bühnenshows mit Tänzern machen, die in dem Maße in Deutschland nicht realisierbar sind, aus rein finanziellen Gründen. Es macht mir unglaublich viel Spaß, mit den Tänzern auf die Bühne zu gehen, zu singen und zu tanzen und das Programm immer wieder umzuwerfen, so wie ich es will. Die Kostüme entwerfe ich auch selbst. Damit befasse ich mich momentan die meiste Zeit.«
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Zum 40jährigen Jubiläum der Veröffentlichung ihrer allerersten Single hat sich Sandra etwas Besonderes einfallen lassen: Ihre Fans waren aufgerufen, im Internet über die besten und beliebtesten Songs abzustimmen. Die am häufigsten genannten Titel finden sich auf dem vorliegenden Doppelalbum wieder. Zusammen mit den Videoclips, die hinsichtlich Produktion und Ästhetik seinerzeit Maßstäbe gesetzt haben, ist das ganz einfach THE VERY BEST OF SANDRA.

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Frank Eberlein (Mai 2016)
Zitate aus einem aktuellen Interview des Autors mit Sandra

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Quelle: Polydor (Universal Music)