ALBUM | Michy Reincke „Sie haben den Falschen“ | ab heute im Handel erhältlich

Mit dem letzten Album seiner Trilogie gelingt dem
Hamburger Musiker Michy Reincke der große Wurf.

„Sie haben den Falschen“ ist prall gefüllt mit außergewöhnlich starken, charaktervollen Songs. Durch seine lebenskluge und nahrhafte Text-Arbeit, den Liebesliedern, Tragödien, seinem Humor und der Gesellschaftskritik hat er seit Jahren schon rein qualitativ ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Popmusik inne.

Diesmal überzeugt Michy Reincke zusätzlich als Produzent eines exquisiten Werkes das in Andalusien entstanden ist. Statt Flamenco geht es allerdings bisweilen sehr funky und auffallend druckvoll zur Sache: Bariton-Saxophone, D6-Clavinet – berühmt geworden durch Stevie Wonders „Superstition“ – und Wah-Wah-Gitarren kommen zum Einsatz sowie Rhythmus-Elemente mit Prince-Zitaten.

Das Alkoholiker-Drama „Noah“ und das Orchester-Stück „Die Frau in der die Welt verschwand“ berühren durch ihre inhaltliche Kraft und feinen Instrumentierungen. Beim Gesamteindruck dominieren mit „Glücklich glücklich“, „Sie ist ganz genau mein Typ“, „Wir zertanzen die Fundamente“, „Ozean“ und „Wenn du gehst komm ich mit“ jedoch die lebensbejahenden Lieder.

Eingängige Melodien, leichte und eindringliche Momente, eine bunte Mischung verschiedener Stilistiken und die frische Ästhetik des angenehm  kategorisierungsresistenten Klangforschers verbinden sich auf „Sie haben den Falschen“ zu einem harmonischen Ganzen. Ein nicht unwesentlicher Tenor bleibt auch auf diesem Werk die Kulturkritik. Das sich „fremd und falsch fühlen“ in der eigenen Existenz und der Mangel an Spiritualität. Verdeutlicht hat Michy Reincke dies bereits sowohl in seinen Songs als auch den dazu gewählten Cover-Grafiken – u.a. kniend vor einer Treppe – auf „Der Name kommt mir nicht bekannt vor“ oder auf einem Ufo sitzend auf „Hatte ich dich nicht gebeten im Auto zu warten“. „Sie haben den Falschen“ komplettiert die Reihe.

Den Begriff des „Kulturpessimisten“ lässt Michy Reincke jedoch nicht gelten: „Ich bin ganz bestimmt kein Schwarzseher, aber ich lasse gern – auch in meiner eigenen Kontroverse – offen, was lustiger und was tragischer ist: Mein Pessimismus oder mein Optimismus. Ich bin mit meinen Worten eigentlich nur auf der Suche nach Wahrheit und Schönheit.“

Reincke spannt auf seinem neuen Album einen Bogen in drei Parabeln („Ozean“, „Noah“, „Gestrandet“), die konzeptuell in nautischen Bilderwelten über das Album verteilt sind. Beim Opener Ozean geht es um die Fülle der Möglich- und Einzigartigkeiten. Um die innere Substanz, die einen das Wesentliche sehen lässt und darum, dass Leben niemals selbstverständlich sein darf. Wie das Meer der vergangenen Tage, der Erinnerungen ansteigt und zwischen Alltagstrümmern die Lebendigkeit, die Schönheit, die Unwiederholbarkeit und die Größe verlorenzugehen drohen, wenn die Fähigkeit sich selbst zu überraschen und eigenständig zu denken und handeln schwindet. Noah beschreibt das aus dem Ruder gelaufene Leben eines Alkoholkranken.

In einem Wirbel aus Bildern zeichnet Reincke das Schicksal eines Schiffbrüchigen nach, welches offensichtlich das Leben seines Vaters widerspiegelt, das er gleichzeitig mit der Ähnlichkeit der zerstörerischen Seite unserer Kultur vergleicht, wie sich auf einer Zitat-Seite des CD-Booklets nachlesen lässt.

Gestrandet ist der 12. und letzte Titel des Albums. Die sommerleichte Komposition mit typisch humorvollem Reincke-Text ist der Monolog eines von seiner Partnerin Verlassenen, der sich seine Situation vor der Foto-Strand-Tapete in der gemeinsamen Wohnung schönredet. Bis ihm in seiner Einsamkeit die Attrappe der Wirklichkeit schließlich doch bewusst wird und er im Ausklang vergeblich fluchend die Tapete von der Wand zu lösen versucht. Wie eine chaplineske Schluss-Metapher: Die Realität als schwer auszubessernder Irrtum. Man lacht und schluckt zugleich. In den letzten 6 ½ Jahren hat Michy Reincke in eigener Regie und unabhängig von der Einflussnahme und wirtschaftlichen Potenz der Unterhaltungsfirmen 5 Alben komponiert, getextet, arrangiert, produziert und mit seinem Label Rintintin Musik veröffentlicht. In all diesen Bereichen selbstbestimmt handeln zu können ist Michy Reincke wichtig und macht ihn zu einem wohltuenden Beispiel für den musikalischen Reichtum abseits des Konzern-Mainstreams.

Dieser Mann ist ein weißer Elefant, wird mit zunehmendem Alter immer besser und wer auch immer den Falschen hat – der Albumtitel ist inspiriert durch eine Zeile seines Songs „Du hier so“, in dem es um einen lebenserfüllenden Wert geht – Michy Reincke ist der Richtige.

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Quelle: RINTINTIN Musik/Indigo